Fünfzehn unbeantwortete Nachrichten, zwei Anrufe, die ich längst beantwortet haben sollte. Und dann diese eine Sprachnachricht, die ich dann doch irgendwann abhöre: „Ich bin mir gerade nicht sicher, ob dir unsere Freundschaft noch wichtig ist.“ Bäm! Tränen schießen mir in die Augen. Ich hatte es geahnt. Gewusst, dass ich gerade nicht die beste Freundin bin. Und doch gehofft, dass meine Freund*innen sehen, dass es gerade nicht anders geht. Seitdem frage ich mich: Bin ich überhaupt eine gute Freundin? Die Antwort: Manchmal ja. Manchmal aber eben auch nicht …
An dieser Stelle muss ich mich endgültig als „Zuagroaste“ outen. Als ich nach Munich City gezogen bin, hieß es für mich immer wieder: neue Leute kennenlernen. In verschiedenen Uni-Kursen, in neuen WGs, beim Nebenjob im Café. Am Anfang gar nicht so einfach für mich, Überforderung incomiiiiing! Und dann galt es auch noch, die Freundschaften von früher zu pflegen: „Wir telefonieren auf jeden Fall regelmäßig. Lass‘ mal einen festen Tag in der Woche ausmachen, an dem wir facetimen.“ Ja, die ersten Wochen hat das noch geklappt und wir haben uns gegenseitig besucht. Aber irgendwann hat das einfach so aufgehört. Ich habe mich weniger gemeldet, weil ich mit der Zeit in München mein neues Leben aufgebaut habe. Habe ich meine Freundschaften aus der Heimat vielleicht einfach so ersetzt?
Zu realisieren, dass ich nicht allein verantwortlich war, dass wir uns so selten hörten, hat ein bisschen gedauert. Dabei war das eigentlich logisch: Auch die anderen hatten sich ein neues Leben geschaffen. Ein Leben, wo unsere Freundschaft vielleicht nur noch in einer kleinen Ecke Platz hatte. Und das ist wirklich total normal und okay … war aber trotzdem eine traurige Erkenntnis für mich. So musste ich auch erst lernen, manche Freundschaften langsam gehen zu lassen. Diese Freund*innen haben mir ja nie in die Augen geschaut und gesagt: „Ich möchte nicht mehr mit dir befreundet sein.“ Aber ein Gefühl von „Wir haben uns auseinandergelebt“ hatte ich trotzdem. Freundschaften verändern sich nun einmal. Im Sandkasten waren wir alle Freund*innen – bis Mama und Papa Eimer und Schaufel einpackten und es nach Hause ging. In der Pubertät waren Menschen meine Freund*innen, die die gleiche Band toll fanden. Und jetzt? Mit Mitte Zwanzig und im Berufsleben? Die Forschung sagt: Ab 25 umgeben wir uns statistisch gesehen mit Menschen aus dem gleichen sozialen Umfeld und dem gleichen Bildungsniveau. Und selbst hier bleibt nicht alles konstant: Unterschiedliche Interessen und Hobbys führen einen zusammen und trennen einen wieder. Das wird wohl immer so sein.
„Vielleicht sind gerade die Freundschaften echt, bei denen man sich wirklich nie fragen muss, ob man noch befreundet ist. Man ist es einfach.“
Pauschalisieren kann man das Ganze natürlich nicht. Wir sind alle verschieden und gehen mit Freundschaften anders um. Und gleichzeitig gibt es an sich schon andere Formen von Freundschaften. Da gibt es Typ 1, – Freund*innen, mit denen ich regelmäßig Kontakt und eine gute Ahnung davon habe, was bei ihnen im Leben gerade so abgeht. Das sind hauptsächlich Leute aus München, aber auch vereinzelt welche von früher. Dann gibt es da Freund*innen des Typs 2, die ich seltener höre, es aber nie zur Debatte steht, ob wir noch befreundet sind. Getreu dem Spruch: „Egal, wie lange wir uns nicht sehen oder hören, es fühlt sich immer wieder gleich gut an.“ Das sind zum Beispiel ein paar Freund*innen aus der Schule, die ich nur an Weihnachten in der Heimat sehe und wir direkt wieder so miteinander sein können, als wäre nie etwas anders gewesen. Und dann gibt es noch Typ 3: Freund*innen, mit denen der Kontakt mit der Zeit versandet ist. Einfach so, als natürlicher Lauf der Dinge. Oder waren das vielleicht nie richtige Freundschaften?! Immer wieder stelle ich mir hier auch die Frage: Sind denn nur die Freund*innen echt, die ich über Jahre aktiv halten konnte? Nein, sie sind einfach anders. Mit manchen Freund*innen teile ich meinen Alltag, mit anderen eben andere Dinge. Und das ist in Ordnung. Vielleicht sind gerade die echt, bei denen man sich wirklich nie fragen muss, ob man noch befreundet ist. Man ist es einfach.
Wie ich meine Freundschaften pflege? Nie mit böser Absicht. Was ich weiß: Ich kann eine extrem gute Freundin sein! Nur das „sich melden“ klappt manchmal besser, manchmal schlechter. Schon oft hatte ich Situationen, in denen es mir psychisch nicht besonders gut ging. Und klar: Freund*innen sind dann eigentlich für einen da. Aber manchmal zieht man sich eher zurück, – ob gewollt oder weil man nicht anders kann. Und in diesen Situationen kann man Freundschaften einfach nicht so pflegen, wie man gerne möchte. Ich weiß, echte Freund*innen verzeihen sowas auch. Ein schlechtes Gewissen bleibt trotzdem und drückt zusätzlich auf die Stimmung, obwohl es einem eh schon schlecht geht. Anderes Beispiel: Seit ich arbeite, habe ich einfach weniger Zeit. Nach Feierabend möchte ich auch mal Ruhe, Zeit mit meinem Freund, an die frische Luft – allein sein. Fast täglich klopft mir da mein Anspruch auf die Schulter: „Lisa, Freundschaften sind wichtig, du musst sie pflegen!“ Ich weiß, lieber Anspruch, das versuche ich. Wirklich. Ich möchte meine geliebten Freund*innen natürlich auch sehen und vermisse sie, wenn das lange nicht der Fall ist. Aber mal klappt das fantastisch, dann wieder nicht. Mal vergeht nur eine Woche zwischen Treffen, mal fast zwei Monate. Mal melde ich mich regelmäßig, mal vergesse ich, dass da noch Nachrichten zu beantworten sind. Und mittendrin: mein Anspruch und ich, die regelmäßig streiten. „Du musst dich jetzt echt mal wieder melden.“ „Ich weiß, aber gerade habe ich einfach keine Zeit und Energie.“ „Mach eine Verabredung aus.“ „Oh nein, nicht noch ein Termin in dieser vollgepackten Woche!“ …
„Verlustangst ist einfach gemein!“
Diese 15 unbeantworteten Nachrichten und diese eine Sprachnachricht noch nicht angehört zu haben, – puh, das versetzt mich immer wieder in Stress. Da ist diese riesengroße Angst vor Nachrichten, die unsere Freundschaft anzweifeln, weil ich mich schon wieder nicht gemeldet habe. Und obwohl ich immer wieder in der selben Situation stecke, bin ich beim nächsten Mal wieder gleich gelähmt. Immer wieder beginne ich meine Nachrichten mit „Entschuldige, dass ich mich so lange nicht gemeldet habe.“ Ergo: Schuldgefühl. Dabei will ich nichts sehnlicher, als dass meine Freund*innen das einfach verstehen können. Dass unsere Freundschaft einfach so bleibt, wie sie ist und dass niemand daran zweifeln oder Angst haben muss. Zwar weiß ich, dass die meisten das auch verstehen (sonst wären sie mir vermutlich nicht so nahe). Die Angst, sie könnten sich trotzdem abwenden, sitzt aber ganz schön tief.
Verlustangst ist einfach gemein! Und übrigens spielt hier auch die eigene Wertschätzung eine große Rolle. Denn: Wenn es mal andersherum ist und meine Freund*innen sich mal länger nicht bei mir melden, stellt sich für mich nie die Frage, warum das so ist. Nein, es macht mich traurig und manifestiert den Gedanken: „Ja Lisa, du hast anscheinend irgendetwas falsch gemacht. Sonst würden sie sich ja melden.“ Auch wenn ich rational weiß, dass das nicht so ist. Dass es auch tausend andere Gründe haben könnte. Meine leider noch nicht 100 Prozent ausgereifte Selbstwertschätzung zieht mir da oft einen Strich durch die Rechnung. Mein Gedanke ist dann leider oft: „Na, wenn ich mich durchweg perfekt verhalte, kann ja nichts passieren und die Freundschaft bleibt, wie sie ist.“ Dabei ist das leider ganz schön destruktiv. Denn: Sobald ich mich dann wieder länger nicht melde, verhalte ich mich ja in meinen Augen keineswegs perfekt, – klar, dass ich dann wieder schuld bin. Circulus vitiosus würde ich mal sagen …
Mit einem kleinen Hauch Optimismus und mentaler Selbstarbeit versuche ich, im Freundschaften pflegen besser zu werden und das mit dieser Schuld-Sache ein für alle mal sein zu lassen. The way: Bewusst mehr Zeit für mein Sozialleben einräumen. Freude statt Stress empfinden, wenn im Kalender ein Essen mit einer Freundin steht. Und danach nach Hause laufen und sich doch einfach wundervoll fühlen, weil man im Zusammensein Inspirationen und Ideen gesammelt hat, eine gewisse Leichtigkeit verspüren. Das klappt – zumindest meistens. Und ehrlich sein, wenn es gerade nicht geht, schadet auch nicht, – zum eigenen Anspruch und zu den Freund*innen von Typ 1 und 2: „Unsere Freundschaft ist mir echt wichtig, aber gerade schaffe ich es nicht, eine richtig gute Freundin zu sein. Gib mir bitte die Zeit.“ Wahre Freund*innen tun das. Und auch ich selbst sollte mir diese Zeit geben. Ja, manchmal bin ich eben nicht die beste Freundin. Aber manchmal eben schon. Und wer ist schon perfekt?! Haha, wenn ich mir das mal nur selber glauben könnte …