München Vereint #8 Die Pfennigparade: Inklusives Zusammenleben von Menschen mit und ohne Behinderung

Geheimtipp Muenchen Pfennigparade Stiftung13 – ©Pfennigparade

Als eines der größten Sozialunternehmen in Deutschland ist die Pfennigparade Antreiber für ein erfülltes gesellschaftliches Zusammenleben von Menschen, – egal woher sie kommen, wie sie aussehen oder über welche motorischen Fähigkeiten sie verfügen. Tag für Tag leisten Mitarbeiter*innen dieser Unternehmung ihren Beitrag zu einem inkludierten Miteinander. Mit Hilfe von Wohnräumen, Werkstätten und zahlreichen Freizeitmöglichkeiten schaffen sie eine Gemeinschaft von Charakteren mit und ohne Körperbehinderung und Beeinträchtigung. Gleichzeitig lockert die Pfennigparade gesellschaftliche Spannungen, indem sie jedem Einzelnen einen vollwertigen Platz in unserer Gesellschaft schaffen will. Wir haben hinter die Kulissen geblickt und ein sehr aufschlussreiches und inspirierendes Gespräch mit Pasqual Herriger und Susanne Schmidt geführt, die seit mehreren Jahren Teil der gemeinnützigen Stiftung sind. Wieder einmal wurden wir davon überzeugt, dass wir alle uns zwar auf dem richtigen Weg befinden – wir aber noch eine weite Strecke gehen müssen, bis wir die Ziele von Inklusion, Diversität und Selbstbestimmung umsetzen können. Schritt für Schritt und Hand in Hand – so wollen (und sollten) wir weitermachen, um unser Bewusstsein für die endlose Vielfalt unserer Gemeinschaft stärken. Wie es die Pfennigparade uns übrigens seit 69 Jahren vorbildhaft vorlebt…

Geheimtipp Muenchen Pfennigparade Stiftung8 – ©Pfennigparade
Die Group Smirage ist ein Zusammenschluss von kreativen Köpfen…
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…die bei der Pfennigparade für mehr Farbe sorgen.
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Seit mehr als 25 Jahren folgen Menschen mit und ohne Behinderung in der Ateliergemeinschaft ihren kreativen Visionen.
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Jeder Pfennig zählt

Die Wurzeln der Pfennigparade gehen bis in die 50er-Jahre zurück: Als zu Ende des Zweiten Weltkriegs als Folge der Polioepidemie Tausende Kinder in Deutschland erkrankten, war die Pfennigparade eine der ersten Initiativen, die sich aktiv um die Infizierten sorgte und einzelne Pfennige sammelte. Daher auch der Name. Aus dieser Bürgerbewegung ist inzwischen, 69 Jahre später, eines der größten Sozialunternehmen Deutschlands entstanden. Heute arbeiten rund 2.500 Mitarbeiter mit und ohne Behinderung zusammen, ermöglichen in 80 Einrichtungen an 37 Standorten in und um München jedem Einzelnen, unabhängig der körperlichen Fähigkeiten, des Alters, der Herkunft, Nation oder Profession, Zeit und Raum für die persönliche wie berufliche Entwicklung.

Wo anknüpfen

Als Grundvoraussetzung für eine gerechte Gesellschaft sieht die Pfennigparade die Verwirklichung von Inklusion. Heißt konkret? Ganz einfach: Dass Strukturen in den unterschiedlichen Lebensbereichen geschaffen werden, die Menschen mit und ohne Behinderung zusammenbringen. Sie leben gemeinsam und miteinander. Das umfasst Bildung wie in Kinderkrippen und Grundschulen, die Arbeit in Förderstätten und Inklusionsunternehmen, selbstbestimmtes Wohnen, ein therapeutisches und (spezial-)medizinisches Angebot und zahlreiche Freizeitbetreuungen. Susanne Schmidt sorgt als VBS Betriebsleiterin unter anderem dafür, dass Menschen mit Behinderung in den Werkstätten in Unterschleißheim Arbeit finden und diese auch regelmäßig ausüben können. Stationiert ist dort zum Beispiel eine Handbuchbinderei. Im Webservice und der Medienschmiede haben Arbeiter*innen die Möglichkeit, unterschiedliche Fähigkeiten – handwerklich wie digital – zu erlernen und auszubauen. Susanne sieht die Pfennigparade überwiegend als rehabilitierte Einrichtung, die die Selbstständigkeit der Werkstattmitarbeiter*innen in den Fokus stellt und ihnen eine erste Plattform bietet, am Arbeitsleben teilzunehmen und sich zukünftig auf dem Arbeitsmarkt etablieren zu können.

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Die Bücherkiste ist eines von vielen inklusiven Projekten der Pfennigparade.
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Nachdem die Bücherspenden eingesammelt wurden, kümmern sich die Werkstättenmitarbeiter*innen um die korrekte Verwertung. Können die Bücher, die gut erhalten sind, weiterverkauft werden?
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Geheimtipp Muenchen Pfennigparade Stiftung4 – ©Pfennigparade
Wenn kein Weiterverkauf besteht, landen die Exemplare in einem der Bücherkiste-Standorten. Wie hier in der Hanauer Straße im Stadtteil Moosach.
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“Unser Ziel ist eine Gemeinschaft, in der Menschen mit und ohne Behinderung unkompliziert in den Lebensbereichen zusammenleben und sich gegenseitig inspirieren.”

Philosophie der Pfennigparade

Aufeinander zugehen

Zudem arbeiten Susanne und das gesamte Team der Pfennigparade stets daran, die einzelnen Werkstätten Schritt für Schritt zu öffnen. Die Hemmschwelle zu überwinden, die in unserer Gesellschaft bis heute herrscht und die Kontaktmöglichkeiten von Menschen mit und ohne Behinderung auszuweiten. Das Bewusstsein zu stärken, dass wirklich jeder Einzelne einen wertvollen Beitrag zum großen Ganzen beitragen kann. Sich auch als solch einen wahrnimmt und sich selbst mit seinem vollen Potenzial ausleben kann. Somit tüftelt die Pfennigparade stets an neuen Projekten, die sich vermehrt unseren sozialen Bedürfnissen widmen und sich besonders im Bereich Freizeit verwirklichen. Eine dieser Errungenschaften ist die Insel. Auf dem ausgebauten Sportplatz in den Isarauen ist eine Natur-, Sport- und Erlebnislandschaft entstanden. Hier finden regelmäßig Sportveranstaltungen (zum Beispiel) aus dem Bereich Race Running statt und in den Sommerferien haben Kinder und Jugendliche die Möglichkeit, an unterschiedlichen Freizeitangeboten teilzunehmen, die zum Beispiel gemeinsames Basteln oder Kochen beinhalten.

Werkstättenmitarbeiter*innen der Pfennigparade arbeiten in digitalen Bereichen wie EDV, Datenerfassung und Webservice sowie kreieren digitale Inhalte in der Medienschmiede.

Handwerkliche und künstlerische Fähigkeiten können zum Beispiel  in der Schreinerei, Seidenmalerei und Konfektionierung erlernt und ausgebaut werden.

Ums Einsammeln und Verwerten von Büchern kümmert sich die Bücherkiste. Mittlerweile gibt es zwei Standorte: Eine Bücherkiste befindet sich in der Hanauer Straße 95A und eine im Café Scheidplatz.

Bemerkenswert ist auch das Projekt Inclu Sports. Rund 13 Mitarbeiter*innen produzieren gemeinsam Skateboards und bereichern damit die heimische Skaterszene um eine wunderbare künstlerische Initiative.

Von Pinselstrichen und 3D-Gerüsten am Bildschirm bis zur Kerzenbemalung und Theater-Auftritten – der künstlerische Verwirklichungsbereich der Pfennigparade ist bunt. Die Group Smirage lädt beispielsweise als kunstbegeisterte Ateliergemeinschaft stets zu kreativen Arbeiten ein und vereint die künstlerischen Visionen von Menschen mit und ohne Behinderung.

Aus diesen kreativen Prozessen gehen auch sehenswerte Ausstellungen hervor. Einen kleinen (digitalen) Einblick und Rundgang dazu gibt es hier

Die Insel ist eine Freizeit-Oase im nördlichen Teil des Englischen Gartens inmitten der Isarauen. Geboten wird ein umfassendes Programm für Kinder und Jugendliche sowie Erwachsene und Senioren. Hier jubeln Besucher*innen gemeinsam über Leistungen der Race Running Teilnehmer*innen, beweisen ihre Kreativität mit Stift und Schere  beim Basteln und genießen die kulinarische Verpflegung von Herrn Maier.

Weiteres gibt es an den unterschiedlichen Standorten der Pfennigparade die Möglichkeiten zum inklusiven Community Gardening.

Grundsätzlich gilt das Prinzip: Jeder ist willkommen. Ob mit Bücherspenden im Rahmen der Bücherkiste, als Besucher*in des Beans & Books oder bei Kunstausstellungen, als Teilnehmer*in der zahlreichen Freizeitveranstaltungen oder als kooperativer Geschäftspartner – es gibt unzählige Möglichkeiten, um sich an der gemeinnützigen Stiftung zu beteiligen.

Darüber hinaus appelliert die Pfennigparade an ein inkludiertes Zusammenleben, was bereits mit dem ersten Schritt vor die Haustüre beginnt. Wer bei der ersten Kontaktaufnahme mit Menschen mit Behinderung und Beeinträchtigung Hemmungen verspürt, dem rät Pasqual: Die Sprache ist das führende Instrument. Das bedeutet, wir sprechen klar und deutlich, sind verständnisvoll und allen voran einfach wir selbst. Ganz normal halt.

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Im Beans & Books stöbern wir durch eine bunte Auswahl an Literatur – am liebsten bei einer Tasse frisch gebrühten Kaffee.
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Dismantle Munich In Sendling – ©Pfennigparade
Das Büchercafé der Pfennigparade schafft Raum für Bildung, Ruhe und Gemeinschaft.
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Dismantle Munich In Sendling – ©Pfennigparade
Im wöchentlichen Wechsel gibt es hier hausgemachte Köstlichkeiten für Zwischendurch und eine Auswahl an Trink-Spezialitäten.
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Selbstbestimmt und sinnstiftend

Pasqual ist im Rahmen seiner Ausbildung zum Heilerziehungspfleger zur Pfennigparade gestoßen. Seit 2010 ist er als Gruppenleiter in verschiedenen Zentren tätig und hat mit seiner Arbeit das Ziel vor Augen, Menschen mit Behinderung eine sinnstiftende Tätigkeit zu ermöglichen und ihnen zu mehr Struktur im Alltag zu verhelfen. Schon von klein auf war er mit dem Bild eines Rollstuhls vertraut: Seine Oma verlor bei einem Unfall ein Bein und lebt seitdem mit starker Beeinträchtigung. Ein Besuch beim Lieblingsbäcker oder die Fahrt zu ihren Enkeln ist stets mit Hürden verbunden, die manchmal für sie allein nicht schaffbar sind. Vor allem beim Punkt Nahverkehr sieht Pasqual enormen Verbesserungsbedarf. Damit die Barrierefreiheit beispielsweise an U-Bahnstationen gewährleistet ist, bedarf es natürlich der Unterstützung von der Stadt München. Auch das Thema Freizeit könnte definitiv eine Nachhilfestunde in Inklusion vertragen. Pasqual fasst hier die Theresienwiese näher ins Auge, die für viele Münchner*innen ein Zentrum des sozialen Beisammenseins darstellt. Er wünscht sich mehr Angebote für Menschen, die mit Rollstuhl, Rollator oder anderen Bewegungsstützen unterwegs sind. Damit hätten die Betroffenen wirklich die Chance, aktiv am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Würde da etwas an der Umsetzung geschraubt werden, begegnen wir mit Sicherheit bald mehr Menschen mit Behinderung im öffentlichen Raum. Und das ist natürlich auch unser Wunsch!

Gemeinnützige Stiftung und Lebenswerk Pfennigparade

So, wie war das noch mal? Hier geben wir einen knappen Überblick:

  • die Pfennigparade wurde 1952 als Bürgerbewegung gegründet, um Polioepidemie erkrankte Kindern zu unterstützen
  • heute zählt die Pfennigparade zu einem der größten Sozialunternehmen in Deutschland
  • rund 2.500 Mitarbeiter*innen ermöglichen Tag auf Tag Menschen mit und ohne Behinderung Zeit und Raum für ein inklusives und selbstbestimmtes Zusammenleben
  • und das in 80 Einrichtungen an 37 Standorten in und um München
  • die Pfennigparade schafft durch aktive Gestaltung der Lebensräume in Bildung, Arbeit, Wohnen, Gesundheit und Freizeit mehr Struktur im gesellschaftlichen Dasein für Menschen mit Beeinträchtigung
  • als Rehabilitationseinrichtung kümmert sich die Pfennigparade um die Eröffnung und Erhaltung von Werkstätten, um den Mitarbeiter*innen ihren Weg in die Arbeitswelt zu ebnen und ihnen sinnstiftende Arbeiten zu ermöglichen
  • die Türen zur Pfennigparade stehen für jeden Menschen offen: ob mit Bücherspenden, als Teilnehmer bei künstlerischen und sportlichen Veranstaltungen oder als kooperativer Geschäftspartner
  • das Ziel der Pfennigparade ist „eine Gemeinschaft, in der Menschen mit und ohne Behinderung unkompliziert zusammenleben und sich gegenseitig inspirieren“

 

Die Bühne des Lebens

Zum Ende kommt die Frage des „Wie“ ums Eck. Wie gestalten wir die Gesellschaft inklusiver? Wie geben wir jedem Menschen das Gefühl, einen vollwertigen Platz in der Gemeinschaft zu haben? Die Pfennigparade schafft mit ihren Strukturen und Aktivitäten privat wie beruflich endlose Anknüpfungspunkte, die Menschen mit und ohne Behinderung leicht zueinander führen. Unsere persönliche Einstellung und Überzeugung ist aber der Grundstein für das Kennenlernen und das anschließende Miteinander. Besinnen wir unsere Aufmerksamkeit darauf, dass wirklich jeder menschliche Austausch einen Mehrwert beinhaltet. Darauf, dass auf jeden Schritt ein Weiterer folgt. Darauf, dass die Zukunft einer harmonischen und verständnisvollen Gemeinschaft in unseren Händen liegt. Nur dann können wir sagen, wir sind auf einem guten Weg. Denn:

„Die Zukunft zählt auf uns.“

Philosophie der Pfennigparade

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