Es gibt wohl kein Teil im Modealltag, was umstrittener ist als sie: Die Jogginghose. Unsere Kolumnistin Julia findet: Wenn Karl Lagerfeld sehen würde, was sich aktuell auf den Seiten der Klatschpresse abspielt, würde er sich vermutlich doppelt und dreifach im Grab umdrehen. Man könnte ja fast meinen, es wäre eine Art Trendsportart geworden in Jogginghose durch die Straßen dieser Welt zu wandeln – schließlich machen das ja jetzt irgendwie alle. Aber muss ich das gut finden? Und verträgt unser konservatives München überhaupt so viel Schlabberlook auf einmal?
Billie Elish wandelt in einem schlafanzugähnlichen Figurenunschmeichler von Gucci über den roten Teppich und sieht dabei aus als wäre sie überraschenderweise aus dem Bett direkt in die Oscarverleihung gefallen. Die feschen Fashion-Blogger posieren auf der Maximilianstraße vor einem Luxus-Lädchen ihrer Wahl und zeigen uns ihren „comfy but apparently very trendy“ Look, dessen Highlight eine graue Trainingshose ist. Und alle finden’s cool. Außer ich. Für mich ist die Jogginghose eher so etwas wie eine gute alte Freundin – eine die man schon immer in seinem Leben hatte, die man nur selten trifft, aber mit der es sich immer anfühlt als wäre kein Tag vergangen. Sie sitzt mit mir auf der Couch und hört sich meine Probleme an, verbringt mit mir endlose Stunden am Schreibtisch und gibt mir das unersetzbare „Home is where the Bauch doesn’t have to be eingezogen“-Gefühl. Alles in allem ist sie also eine sehr treue Wegbegleiterin, die ich keinesfalls missen möchte.
Es gibt da aber ein Problem in unserer langjährigen Freundschaft: Sie ist mir ein bisschen unangenehm in der Öffentlichkeit. Deswegen versuche ich ihr jeden Montag morgen erneut zu erklären, dass sie leider nicht mitdarf, wenn ich in die Arbeit gehe – obwohl sie dort nicht mal alleine wäre, denn selbst die Geschäftsführung zeigt sich gerne tolerant, wenn es um das gemütliche Beinkleid geht. Und die hat die Kontrolle über ihr Leben (selbstverständlich!) nicht verloren. Und ich hab’s wirklich versucht, echt jetzt! Letztens bin ich mit ihr zum Supermarkt gegangen, um ihr ein bisschen was von der Welt da draußen zu zeigen. Und das in Schwabing. Also Überwindungslevel hoch 100. Hatte das Gefühl, meine Existenz wurde allerdings entweder vollständig ausgeblendet oder mit einer gerümpften Nase quittiert. Gut, vielleicht war das auch ein kleines bisschen Einbildung – mein Experiment „Wie viel Jogginghose verträgt die Schickeria wirklich?“ werde ich dennoch nicht wiederholen.
Klar, es freut mich, dass ihre gesellschaftliche Anerkennung offensichtlich gestiegen ist und man zumindest in unserer Generation nicht mehr automatisch als Kernassi bezeichnet wird, wenn man das unkonservative Kleidungsstück zum Spaziergang ausführt – auch nicht in einer Stadt wie München. Gleichzeitig muss mich dann aber fragen, wie es sein kann, dass es hier tatsächlich Leute gibt, die 1.200 € für eine JOGGINGHOSE ausgeben. Mit dem Klammerbeutel müsste ich gepudert sein! Da fängt die Schickeria, die eine sogenannte Jogginghose im Alltag wahrscheinlich nicht mal mit der Kneifzange anfassen würden, auf einmal an, ihre fancy Designer-Baumwollhöschen zum Business-Lunch zu tragen? Und ich frage mich erneut: Muss ich das wirklich gut finden? Oder darf ich zurecht sagen wie dämlich das aussieht? Ok, zugegeben: Das war eine rhetorische Frage.
Nein, gut finden muss ich das natürlich nicht. Aber akzeptieren werde ich es selbstverständlich – schließlich leben wir ja nach dem altbekannten „leben und leben lassen“. Ich werde meine treue Verbündete nach wie vor ausschließlich auf dem Sofa tragen und mich weiterhin in der Öffentlichkeit für sie schämen; werde mein Kopfschütteln aber einstellen, wenn meine beste Freundin zum nächsten Dinner in angesagtem Schlabberlook einläuft. Ändert ja schließlich nichts an dem Menschen, der in der Hose steckt. Vielleicht versteh ich den Trend einfach nicht oder bin zu spießig für diese Welt – sogar für München. Aber das ist auch okay – ich liebe sie ja trotzdem irgendwie. Die gute alte Jogginghose.
Ein Leben ohne Jogginghose ist möglich, aber in keiner Weise erstrebenswert.
Twitter.com/ Ridgessback
Liebe Jogginghose, es tut mir aufrichtig leid, wie ich dich in der Vergangenheit behandelt habe. Wirklich. Aber wer hätte schon ahnen können, dass die Welt um uns herum sich so verändert? Dass Home Office zum Standard wird?! Dadurch sehen wir beide uns ja zwangsläufig ganz schön oft. Du bist mittlerweile mehr als die gute alte Freundin, die man schon immer hatte, aber nur selten sieht – du bist jetzt sowas wie meine Seelenverwandte. Mein Partner in Crime. Mein Ride or Die.
Ist dir eigentlich aufgefallen, dass ich viel mehr Zuhause bin? Musst du dich im Kleiderschrank schon mit meinen zauberhaften Sommerkleidchen streiten, die verzweifelt auf ihren nächsten Einsatz warten? Und nimmst du es mir eigentlich übel, dass du das Schleuderprogramm in den letzten zwei Jahren öfters gesehen hast als je zuvor? Tja, das war’s jetzt für dich mit dem Lotterleben: Statt deinem gewohnten Couchpotatoauftritt, pünktlich zum Tatort jeden Sonntag um 20.15 Uhr, bist du auf einmal Dauergast in meinem Leben. Und ich finde es wirklich großartig, dass du das hier gerade alles mit mir durchmachst, obwohl ich dich sonst immer vor allen meinen Freunden so schlecht gemacht habe …
Also wenn ihr eure Jogginghose angemessen feiern wollt, dann ist der 21. Januar der perfekte Tag! Gönnt ihr doch mal wieder eine frisch duftende Wäsche, bevor ihr euch mit ihr und einer leckeren Pizza auf die Couch verkrümelt. So fürs Feeling.
Du bist die Erste die ich morgens verliebt angucke, wenn ich mir, mental noch gefangen im Traumland, mit verschlafenem Gesicht meinen Kaffee mache. Begleitest mich zum Schreibtisch, wenn es den morgendlichen virtuellen Gruß mit den liebsten Kollegen gibt und zeigst dich von deiner besten Seite. Feuerst mich beim Schnell-mal-Lunch-Einkauf im Supermarkt an – ja, ihr habt richtig gelesen, sie darf mit raus an die frische Luft – und gibst dich sogar großzügig, wenn ich dich nachmittags auf einen kleinen Spaziergang an der Isar einlade. Obwohl dieses Gelaufe trotz deinem Namen ja sonst wirklich überhaupt nicht dein Job ist. Danach kuscheln wir auf der Couch, du akzeptierst auch die trashigste TV-Auswahl ohne Murren und beschwerst dich nicht mal, wenn ein Schlückchen Rotwein oder ein Löffel eisige Versuchung auf dir landet, statt in meinem Mund. Und dann, wenn es ins Bett geht und ich mal wieder zu faul bin, dich fein säuberlich zusammenzulegen und dich stattdessen achtlos auf den umfunktionierten Ablagestuhl in meinen Schlafgemächern pfeffere, flüsterst du mir trotzdem ein lieb gemeintes „Gute Nacht“ zu. Brauchst dich nicht zieren, wünsche ich dir doch auch.
Du hast so eine Geduld mit mir – wie konnte ich das nur all die Jahre übersehen? Blöd von mir, dass erst so eine dämliche Pandemie einmarschieren muss, damit ich dich zu schätzen weiß. Ab heute schäme ich mich nicht mehr für dich, versprochen! Du wirst auch heute noch „nach Corona“ allen vorgestellt, ob Zuhause oder im Park; hast lebenslanges Wohnrecht in meinem Herzen und bekommst ab jetzt nur noch den Schonwaschgang. Meinst du, du kannst mir dann nochmal verzeihen? Das würde mir wirklich viel bedeuten. Hochachtungsvoll, deine dich liebende Trägerin.