Warum sehen die meisten weg? Mein traumatisierendes Erlebnis mit K.O. Tropfen

Geheimtipp Muenchen K O Tropfen Kolumne 07 – ©Geheimtipp München

Viele unter uns, die ihre Zwanziger feiertechnisch ausgelebt haben, wissen, wie unangenehm es sich anfühlen kann, einen Filmriss von zu viel Alkohol zu haben: Was ist genau passiert? Wie bin ich heimgekommen und wie lange war ich unterwegs? Habe ich etwas Blödes gesagt? Aber blutüberströmt, mit Schmerzen am ganzen Körper und allein in der Notaufnahme zu sich zu kommen – das hat sich für mich nicht nach einem „normalen“ Filmriss angefühlt. Ich bin gerne und viel mit Freunden unterwegs – ich wusste also schnell: Hier stimmt etwas nicht. Ich war mir sicher: Mir wurden K.O.-Tropfen verabreicht. Was ich jedoch so gar nicht wusste: Welche Tortur in den nächsten Monaten erst auf mich zukommen würde.

Nur noch schnell auf die Toilette, dann sollte es zurück auf den Geburtstag gehen. Es folgte eine Erinnerungslücke von vier bis fünf Stunden.

Sensibel für das Thema. Trotzdem ist es mir passiert

Aber fangen wir von vorne an: Freitagabend am langen Osterwochenende 2022: Ich war auf dem 30. Geburtstag einer guten Freundin eingeladen und wir starteten den Abend bei einem Essen in einem leckeren Restaurant – eine gute Grundlage muss einfach sein. Nach einer leckeren Pizza und etwas Wein zog unsere Gruppe weiter in die Stadt zum Feiern. Da wir im Club nur Bar zahlen konnten, verließ ich die Gruppe kurz, um Geld abzuheben. Auf dem Weg zum Automaten traf ich eine Freundin und beschloss, mich auf einen Drink zu ihr an die Bar zu setzten. Neben uns zwei Kerle, die uns zulaberten. Wir beachteten sie kaum und führten unser Gespräch fort. Aber wer bekommt nicht schon als Teenie von den Erwachsenen eingebläut: „Pass auf deinen Drink auf, niemals offen und alleine stehen lassen!“ Also – natürlich sensibilisiert für das Thema – genoss ich meinen Drink. Nur noch schnell auf die Toilette, dann sollte es zurück auf den Geburtstag gehen. Es folgte eine Erinnerungslücke von vier bis fünf Stunden.

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Die unsichtbare Gefahr Was sind K.O. Tropfen & wie wirken sie?

Unter K.O. Tropfen versteht man meist GHB (Liquid Ecstacy) – welches farb-, geruch- und geschmacklos ist. Es kann sich aber auch um eine Vielzahl von anderen Mittel handeln, wie zum Beispiel Ketamin, Benzos oder Neuroleptica.
Symptome: variieren je nach körperlicher Verfassung von  Schwindel, Übelkeit, Willenlosigkeit, Müdigkeit bis zum kompletten Blackout.
Nachweisbarkeit: schwer, Substanz ist nur acht bis zwölf Stunden im Blut nachweisbar.

Schmerzen, Blut und viele Menschen, die Fragen stellen

Ab hier folgen Infos, die ich nur aus Polizei-, Krankenwagen-, Notaufnahme- und Zeugenberichten entnehmen kann. Ich musste mich nach dem Drink nicht gut gefühlt haben und so beschloss ich, mich auf den Heimweg zu machen. Dafür mietete ich mir einen E-Scooter, was für mich absolut untypisch ist, da ich dies zuvor noch nie getan habe. Normalerweise laufe ich immer heim oder rufe ein Uber. Die Fahrt mit dem Roller dauert nicht lang. Nach etwa drei Minuten passiert ein Unfall, bei dem ich mir den Kiefer breche, mir eine heftige Platzwunde am Kinn sowie Schürfwunden und Blutergüsse am ganzen Körper und im Gesicht zuziehe. Mein Glück ist: Ein Autofahrer beobachtet den Unfall, leistet Erste Hilfe und ruft einen Krankenwagen. Es folgen stundenlange Behandlungen in der Notaufnahme, während denen mir die Polizei mit ihren Befragungen kaum von der Seite weicht. Die gesamte Osterwoche verbringe ich im Krankenhaus. Bei einer OP wird mein Kiefer fixiert und ich kann in den nächsten drei Wochen weder essen noch sprechen. Besonders schlimm sind die Nächte, in denen ich traumatisierende Flashbacks des Unfalls und Panikattacken habe. Panik in erster Linie, weil ich Angst davor habe, Gefühle zuzulassen. Denn dann werde ich weinen, mich vielleicht verschlucken und ersticken – mein Kiefer ist schließlich fixiert.

Das ohnmächtige Gefühl nicht zu wissen, was und wie alles wirklich passiert ist – das macht die ganze Sache zu solch einem traumatisierenden Erlebnis für mich.

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Die lange Zeit der Heilung – körperlich und mental

Alles in allem ist es die Kombination aus dem langen Blackout, dem Unfall an sich, die Langzeitauswirkungen der Verletzungen, die starken Schmerzmittel, der lange Heilungsprozess und das ohnmächtige Gefühl nicht zu wissen, was und wie alles wirklich passiert ist, was die ganze Sache zu solch einem traumatisierenden Erlebnis für mich gemacht hat. Erst etwa fünf Wochen nach dem Unfall komme ich langsam wieder zu mir und realisiere: Du hast verdammt viel Glück gehabt! Mein engster Freundeskreis und meine Familie erkennt mich in diesen Wochen kaum wieder. Sie alle nehmen mich „benebelt und abwesend“ wahr. Ich versuche möglichst nichts an mich ranzulassen, gehe trotz der schweren Verletzungen schnell wieder spazieren und versuche mich mit Unternehmungen abzulenken. Mein ständiger Begleiter: Eine Schere als Kette um meinen Hals. Damit ich im Notfall die Fixierung des Kiefers lösen kann. Was zum Glück nie nötig wird.

Besonders schlimm sind die Nächte in denen ich heftige Flashbacks des Unfalls und Panikattacken habe.

Die Reaktion des Barbesitzers: eine Enttäuschung

Damit nicht genug, kommen seither auch rechtliche Konsequenzen auf mich zu. Aber darum soll es hier nicht gehen. Nach einigen Wochen schreibe ich dem Barinhaber, will ihn darauf aufmerksam machen, dass mir in seiner Bar K.O.-Tropfen verabreicht wurden – und dass das laut einiger Bekannter regelmäßig passieren soll. Aus demselben Grund, aus dem ich heute diesen Text schreibe, nehme ich damals Kontakt auf: Ich will andere Personen schützen und vor solch einer schlimmen Erfahrung bewahren. Der Barinhaber soll die Möglichkeit haben, Maßnahmen zu ergreifen, um solche Vorfälle zukünftig zu vermeiden. Die Reaktion ist mehr als enttäuschend: Er weist jegliche Vorwürfe von sich. Argumentiert, dass dies in seiner Bar nicht möglich sei und ihm in all den Jahren noch nie zu Ohren gekommen sei.

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Wenig Hilfe von denen, die helfen sollen

Meiner Meinung nach hätte es viele Möglichkeiten gegeben, auf den Vorfall zu reagieren. Er hat die schlechteste gewählt. Ich hätte mir gewünscht, dass er sich dem offensichtlichen Problem in seinem Laden annimmt und seinen Gästen einen sichereren Aufenthalt ermöglicht. Von dieser Reaktion, wie auch von der Reaktion der Polizisten in der Notaufnahme, kam ich mir nicht ernstgenommen und ohne jeglichen Respekt behandelt vor. Als Opfer von einem K.O.-Tropfen-Vorfall hatte ich sowieso schon mit den psychischen und körperlichen Folgen des Kontrollverlusts zu kämpfen. Hinzu kamen komplizierte rechtliche Schritte. Ich kann nicht verstehen, wie Menschen, die mit meinem Vorfall in Berührung kamen, meine Erfahrung nicht ernst nehmen konnten und weder Respekt noch Verständnis für mich übrighatten. Meist genau die Personen, die gegen solche Fälle etwas tun können und dazu beitragen könnten, sowas zu vermeiden.

Warum ich das erzähle? Weil meine Erfahrung kein Einzelfall ist. Weil wir alle alles dafür tun sollten, dass so etwas nicht mehr passiert.

Mein Appell: Lasst uns drüber reden!

Ich war und bin unendlich dankbar für meinen großartigen Freundes- und Familienkreis. Ohne die emotionale Unterstützung, das Verständnis und die Hilfe hätte ich dieses Erlebnis sicherlich nicht so gut verarbeiten können. Heute, sieben Monate nach dem Vorfall kämpfe ich immer noch mit den körperlichen Folgen und Schmerzen sowie plötzlich aufkommenden Panikattacken. Zusätzlich muss ich eine hohe Strafe zahlen und schlage mich immer noch mit dem immensen Papierkram rum. Ich würde mir wünschen, dass grundsätzlich offener über das Thema gesprochen wird, Bar- und Clubinhaber in ihren Läden Maßnahmen ergreifen, um solche Vorfälle besser melden zu können. Dass offenere und zugänglichere Hilfsangebote geschaffen werden, um Opfern einen sicheren und vor allem respektvollen Raum zu geben, ihre Erfahrungen zu teilen und Hilfe zu bekommen. Warum ich das erzähle? Weil meine Erfahrung kein Einzelfall ist. Weil wir alle alles dafür tun sollten, dass so etwas nicht mehr passiert. Wir sollten uns alle sicher fühlen können. Beim Feiern, auf dem Nachhauseweg, auf dem Weg zur Arbeit – egal wo. Und um etwas zu verändern, müssen wir darüber reden. Auf jeglichen Plattformen, die wir nutzen können.

Was können wir tun?

Vorab sei an dieser Stelle gesagt: Klar ist – die Verantwortung, das Nachtleben sicherer zu gestalten, liegt in keiner Weise bei den Betroffenen & Opfern. Es sind einige Maßnahmen und eine strukturelle Ursachenbekämpfung nötig, die Zeit brauchen, um das System zu verbessern. Bis dahin müssen wir alle verstärkt aufeinander achten und können uns leider nur durch Schutzmaßnahmen gegenseitig und selbst helfen.

  • Testarmbänder (gibt es z.B. bei dm) – Achtung: Die Testarmbänder testen nur auf einen Wirkstoff
  • Drinks nicht offen stehen lassen, mit der Hand bedecken & immer im Auge behalten
  • Keine fremden, offenen Drinks annehmen
  • Auf das Bauchgefühl hören: Personen meiden, die dir komisch vorkommen
  • Bei sexueller Belästigung gibt es einige Notfallzeichen, mehr dazu findet ihr hier
  • Opfer Sicherheit geben, in Sicherheit bringen
  • Barkeeper*innen, Freunde, Bekannte um Hilfe bitten
  • Im Zweifel immer die Polizei rufen
  • In Notaufnahme fahren (ggf. Krankenwagen rufen) & Blut sowie Urin sichern lassen (das geht auch anonym)
  • So bald wie möglich den Fall der Polizei melden & Anzeige erstatten