Leute, wie die Zeit vergeht! Das ist jetzt nicht irgendeine Alltagsfloskel unserer Großeltern, die ich euch hier vorhalte, sondern Fakt. Und dass, obwohl es vor einigen Monaten so schien, als würde die Welt für kurze Zeit stehen bleiben. Meine damaligen Pläne in dieser Stadt waren ganz andere. Und wer weiß, ob ich ohne Corona München und seine wundervollen Menschen jemals so kennengelernt hätte – sicherlich anders. Doch bevor ich die Stadt mit der wirklich besten Lebensqualität verlasse, möchte ich noch eins tun: „Servus“ sagen und meine Erfahrung als gebrandmarkter Zugeroaster teilen.
Ich weiß noch genau, wie ich Mitte März in den Zug nach München stieg. Ich machte mir Gedanken. Ich hinterfragte während der gesamten Zugfahrt, ob es überhaupt ein guter Zeitpunkt wäre, in eine Millionenstadt zu ziehen. War ja alles noch so frisch – damals, mit Corona. Doch ein Zurück kam nicht in Frage. Arbeitsvertrag war unterschrieben, WG-Zimmer schon untervermietet. Da musste ich jetzt wohl durch.
Genau zwei Wochen später verlief mein Tagesablauf übrigens so: Schlafen bis mittags, noch eine halbe Ewigkeit im Bett bleiben, dann Alibi-Shoppen im Supermarkt oder Spazierengehen, um einen legitimen Grund zu haben, rauszugehen. Kurz gesagt: Corona killed my job und die Hoffnung neue Leute kennenzulernen. Denn in München kannte ich kaum jemanden. Doch ich lernte schnell mit der Situation geduldig umzugehen. Ich sah es wie eine etwas überzogene Achtsamkeitsübung für die Welt. Nur dass eben keiner wusste, wann der Gong ertönen würde.
Was mir natürlich sofort gefiel, war das ständig gute Wetter. Alleine der April hatte soviel Sonnenstunden wie ein richtig guter Juli in Schleswig-Holstein. Neben meinen Alibi-Spaziergängen durch den Englischen Garten und die unzähligen schönen Viertel Münchens, erkundete ich die Umgebung und das Voralpenland mit dem Rennrad. Meine Challenge: Alle Gewässer im Fünf-Seen-Land umrunden. Bereits mit dem Blick Richtung Alpen, wusste ich, dieser Sommer würde noch vielmehr für mich bereithalten…
Der bayerische Dialekt ist als Außenstehender schon wirklich schwer zu verstehen. Mitunter wirklich lustige Missverständnisse kamen bei meiner Kommunikation zusammen. Zum Beispiel als ich mit Freunden an der Isar chillte und plötzlich zwei Beamte des KVRs an uns vorbeigingen. Da normalerweise die Polizei in anderen Bundesländern solche Aufgaben übernimmt, dachte ich, dass das KVR eine Art Aushilfsdienstleister für die Stadt sei, damit sich die Polizei auf die wirklich kriminellen Machenschaften der Big City konzentrieren kann. Ich wurde schnell aufgeklärt. Tja, man lernt nie aus…
Im Mai fand ich einen neuen Job als Redaktionspraktikant bei Geheimtipp München und mit ihm die besten Leute, mit denen ich zusammenarbeiten durfte. Schnell wurde klar, daraus werden Freundschaften fürs Leben. Dabei haben die Münchner Kollegen mich als Zugeroasten gerne mal in die Mangel genommen, wenn es um Begrifflichkeiten ging. Ob jetzt ein Brötchen eine Semmel, ein Weizen ein Weißbier oder Klöse Knödel sind, war mir von Anfang an schnuppe. Dem Bayer aber nicht, denn er besteht auf seinen leicht patriotischen Wortgebrauch. Zugegeben hatte ich in solchen Situationen schon hin und wieder das Gefühl wie ein Fremder behandelt zu werden. Allerdings gleichen es die Bayern schnell durch ihre sympathische und zugängliche Art aus und nehmen einen gerne an die Hand – so meine Erfahrung.
Wenn wir schon beim Essen sind: Die bayerische Küche war nahezu eine der besten Sachen während meines Bayern-Aufenthaltes. Insbesondere feiere ich seit meiner Ankunft das Konzept Biergarten. Haxn, Hendl, Leberkas, Obatzda mit Brezen oder Weißwurst und dazu eine Maß sind aber auch alles absolut überzeugende Argumente. Das Beisammensitzen an lauen Sommerabenden, jeder weitere Schluck Bier, der einen immer näher bringt zum glückseligen, leichten Glimm… Ich lieb’s! Doch auch wenn die Münchner Clubkultur leider stillschleichend an mir vorbeigegangen ist, haben sich die Münchner für mich als passioniertes Party-Volk erwiesen. Statt Blitz, Harry Klein oder Rote Sonne waren es zwar nur Bahnwärter Thiel und Kulturstrand. Aber die DJ-Sets zum Mitschwingen an der frischen Luft mit satter Sonne am Wochenende schufen den perfekten Ausgleich.
Müsste ich meine gesamten Eindrücke der letzten sechs Monate in dieser wunderschönen Stadt rekapitulieren, wäre dies keine Kolumne mehr, sondern ein Roman. Rückblickend war es einer der besten Sommer meines Lebens, in dem ich viele neue Erfahrungen sammelte und coole Bekanntschaften machte. Auf jeden Fall lernte ich die Stadt und ihre Mentalität aus einer ganz anderen Perspektive kennen. Und um ehrlich zu sein, war das ab und zu auch frustrierend. Meine Beziehung zu München prägte ein ständiges Auf und Ab, was gegen Ende aber besser wurde. Wir brauchten halt Zeit liebes München, du und ich. Und manchmal auch etwas Abstand. Doch ich würde es genauso wieder machen. Und rate daher jedem, auch in schwierigen Zeiten etwas Neues zu wagen. Zum Beispiel wie ich nach München zu ziehen. Why not?! Denn man lernt verdammt nochmal viel über sich selbst.